KOMPETENZEN FÜR INKLUSION

PSYCHOSOZIALE RESSOURCEN UND DIE ROLLE DER SPIRITUALITÄT

Projektverantwortliche

Prof. Dr. Dr. Janusz Surzykiewicz und Simon W. Kolbe, M.A.

Projektlaufzeit: 2015-2020

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Das am Lehrstuhl für Sozialpädagogik verortete Forschungsvorhaben versucht, ein Kompetenz-Konzept für inklusives Handeln zu begründen und entsprechende inklusive Ansätze in der Praxis zu erarbeiten und umzusetzen.

 

AUF DEM WEG ZU INKLUSIVEN KOMPETENZEN?

Grundlegend ist beim beschriebenen Forschungsvorhaben das Verständnis für eine Proklamation eines „weiten“ Inklusionsbegriffs, der gerechte Teilhabe für alle Menschen in einer Gesellschaft fordert. Inklusion ist durch die rechtliche Verankerung Teil eines gesellschaftlichen Auftrages und individueller und weltweiter Aushandlungsprozesse, mit dem Ziel, Teilhabegerechtigkeit herzustellen (Brokamp 2016; Böttinger 2016; Sulzer 2017). Im Sinne der UNESCO-Kommission (Deutsche Unesco-Kommission 2006, 2010, 2014a, 2014b) wird Inklusion als eine globale Aufgabe verstanden, Entfaltungsfreiheit, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit herzustellen und somit hierbei auch religiöse und spirituelle Ressourcen und Bedürfnisse einzubeziehen. Diesem Verständnis fühlt sich unser Forschungsprojekt verpflichtet, was auch in der Mitbegründung der „Freisinger Erklärung“ verbalisiert wurde (Bartosch et al. 2018).

Sowohl bildungspolitische als auch pragmatische Gründe sprechen dafür, Menschen mit besonderen Bedürfnissen durch frühzeitige Interventionen eine positivere Entwicklung und Entfaltung zu ermöglichen und ihnen so die gesellschaftliche Teilhabe an allgemeinen Lebens- und Lernbedingungen zu eröffnen und zu sichern. Anknüpfend an das Prinzip der „Bildung für Alle“ (Erklärung von Jomtien, World Conference on Education for All 05.03.1990) wurde in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit und Bedeutung inklusiver Erziehung und Bildung als wichtiger Schritt erkannt und der Weg für inklusive Bildung als wichtigste Strategie, um Ausgrenzung zu begegnen, hervorgehoben (Deutsche Unesco-Kommission 1994, 2014b, 2014a). In gleicher Weise argumentieren auch die christlichen Kirchen (Pithan und Schweiker 2011; Deutsche Bischofskonferenz 2012; Rat der EKD 2015).

Inklusive Strukturen alleine (z.B. schulische Klassen, Einrichtungen in Gemeinden usw.) sind hier jedoch nicht ausreichend. Neben finanziellen und organisationsstrukturellen Hindernissen erweisen sich – trotz allgemein positiver Entwicklungen im Kontext gesellschaftlicher Grundeinstellungen – vor allem konventionelle Überzeugungen und Sichtweisen als zentrale Barrieren (Döbert und Weishaupt 2013). Nach wie vor wird ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen bzw. mit spezifischem Förderbedarf als eine Person mit Problemen wahrgenommen und unterliegt einer exkludierenden Alltagstheorie der Andersartigkeit.

Ein tatsächlich inklusives Handeln in konkreten Alltagssituationen erfordert daher die Entwicklung inklusiver Haltungen und Einstellungen auf individueller Ebene. Gelebte Inklusion muss somit beim Einzelnen ansetzen und die Ausbildung inklusiver Intentionen schon vom Kindesalter an gefördert und unterstützt werden. Als besonders wichtiges Instrument für den Aufbau einer inklusiven Gesellschaft gilt in diesem Zusammenhang die kindliche Frühförderung und die Initiierung inklusiver Lern- und Bildungs- sowie Sozialisationsprozesse (Deutsche Unesco-Kommission 2010, 2014a, 2014b).

Während diese Notwendigkeit umfassend erkannt wurde, verfügen wir bislang jedoch immer noch über unzureichende empirisch begründete Erkenntnisse, welche entscheidenden Fertigkeiten bzw. Kompetenzen im Zuge einer allgemeinen und spezifischen bildnerischen Förderung für ein tatsächlich inklusives Miteinander zu fördern sind.

Vor diesem Hintergrund zielt unsere Forschung darauf, „inklusive Kompetenzen“ im Sinne individualpsychologischer Voraussetzungen und Ressourcen (Einstellungen, Kognitionen, Normen) für ein inklusives Handeln zu erforschen, um darauf aufbauend praxisrelevante Kriterien zur Vermittlung und Förderung inklusiver Kompetenzen (Methoden, Trainingsansätze und diagnostische Verfahren) zu entwickeln und zu evaluieren. Auf diese Weise sollen Schülerinnen und Schüler aber auch Erwachsene als Rezipienten und Akteure in einem inklusiven Bildungskontext in ihrem Zusammenleben, ihrem Zusammenarbeiten und ihrem gegenseitigen Verständnis sensibilisiert, vorbereitet und gefördert werden.

Bislang durchgeführte Forschungsarbeiten zu inklusiven Kompetenzen sowie Einflussfaktoren und Wirkmechanismen existieren vor allem im Bereich der Studien zum Sozialverhalten und sozialen Lernen. Da ein inklusiv kompetentes Verhalten letztendlich eine Form sozial kompetenten Verhaltens darstellt, wird zur weiteren Hypothesen- und Theoriebildung entsprechend auf den aktuellen Forschungsstand dieser Tradition zurückgegriffen. Die hier rezipierten Prädiktorvariablen beziehen sowohl kognitive, emotionale wie auch behaviorale Einflussfaktoren ein (Boer 2008; Odom et al. 2008; Rohlfs 2008a; Boer 2011; Bischoff et al. 2012; Greiff et al. 2014; Malti und Perren 2016; Zsolnai 2016). Dazu zählen etwa umfassende Problemlösekompetenzen, die Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Bewertung der eigenen Person und des Interaktionspartners (D’Zurilla und Nezu 1990; Helmsen und Petermann 2010; Greiff et al. 2014; Petermann und Wiedebusch 2016), die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und zur Antizipation von Konsequenzen (Vaish et al. 2009) sowie kommunikative Fertigkeiten, die Fähigkeit zur Benennung und Äußerung von Gefühlen, Emotionsregulation, Hilfsbereitschaft und Empathie (Blair et al. 2004; Miller 2008; Rohlfs et al. 2008b; Boer 2011; Gut et al. 2012; Dorn et al. 2013; Jensen et al. 2014; José 2016; Hepach et al. 2019; Paulus 2017).

Auch die Forschungserkenntnisse im Bereich interkultureller Kompetenzen (Over et al. 2008; Auernheimer 2013, 2014), die spezifische Einflussfaktoren für ein erfolgreiches Miteinander im Spannungsfeld zwischen Heterogenität und Integration umfassen, können für die Hypothesen- und Theoriebildung für inklusive Kompetenzen wichtige Implikationen bereitstellen. Diesbezüglich genannt werden u.a. Offenheit, Unvoreingenommenheit, Ambiguitätstoleranz, linguistische Fähigkeiten, kognitive Komplexität, Imaginationsreflexivität sowie soziale Flexibilität (van der Zee und van Oudenhoven 2000; Lloyd und Härtel 2010; Morley et al. 2010; Vogler 2010; Boral et al. 2011; Kaiser-Kauczor 2011; van Keuk et al. 2011; Freund 2017). Inklusive Kompetenz wird daher als Oberbegriff für eine ganze Reihe von Prozessen und Merkmalen verwendet, die inklusives Verstehen, Entscheiden und Handeln umfassen.

Im vorliegenden Beitrag werden zunächst relevante (religions-)psychologische Grundlagen erläutert, einschlägige Modelle inklusiven Entscheidens und Handelns skizziert und entsprechend in einem empirisch untersuchten Modell begründet.

RELIGIOSITÄT UND SPIRITUALITÄT ALS RESSOURCE IN INTEGRATIONS- UND INKLUSIONSPROZESSEN

Eine besondere Rolle als inklusive Ressource wird der Spiritualität zugeschrieben, die vielfach als fundamentales menschliches Bedürfnis und daher als zentrale Komponente für Wohlbefinden sowie mentale und physische Gesundheit erkannt wird (Koenig 2010; Kosher und Ben-Arieh 2017; Nita 2019; Koenig 2018) . Sie wurde zudem als wichtiger Prädiktor bzw. wichtige Ressource für psychosoziales Funktionieren oder zur Bewältigung von Krisen empirisch belegt ( Currier et al. 2015; Holmes und Kim-Spoon 2016; van Hook 2016;; O’Grady et al. 2016). Zu den Themen moralisches Urteilen und Handeln bzw. Empathie-Entwicklung und Religiosität/Spiritualität sind umfangreiche empirische Arbeiten erschienen. Ebenso gilt dies für empathisches Handeln, das sich z.B. aufgrund der kritischen Auseinandersetzung mit Kohlbergs kognitivem Ansatz des moralischen Urteilens mit affektiven Aspekten, Empathie, Sympathie und pro-sozialem Verhalten belegen lässt (Hermann und Treibel 2013; Ekas et al. 2009).

Die vielfältigen Funktionen von Religiosität und Spiritualität wurden in verschiedenen theoriegeleiteten Konstrukten erfasst, etwa Spirituelle Aspekte und Bedürfnisse (Büssing et al. 2018; Chen et al. 2019; Riklikienė et al. 2020), Spirituelles Wohlbefinden (Heintzman 2020), Coping (Baldacchino und Draper 2001; Ironson und Kremer 2011; van Hook 2016; Exline et al. 2017) und spezifische Ressourcen in den Konzepten von Salutogenese (Vaandrager et al. 2017; Vaandrager et al. 2017a; Oman 2018; Oman und Nuru-Jeter 2018; Markowitsch und Schreier 2019) und Resilienz (O’Grady et al. 2016; Cherry et al. 2018). Spiritualität etablierte sich als immanenter Forschungsgegenstand bei unterschiedlichen Zielgruppen. Betrachtet man den Umfang von spirituellen Aspekten, so fällt auf, dass vor allem der bewusste Umgang bzw.  das Mitgefühl für andere Menschen oder soziale Einbindung thematisiert werden, die sowohl buddhistisch als auch christlich orientierten Idealen folgen (Freudenreich 2011; Gontard 2013; Büssing et al. 2016). Insbesondere die Thematisierung von Achtsamkeit und achtsamkeits-basierten Interventionen ist von gewisser Prominenz (Kohls und Sauer 2012; José 2016; Zenner 2016; Luong 2018; Semaille et al. 2018).

Der Spiritualitätsbegriff wird in der Forschung multidimensional diskutiert. Einige konzeptionelle Ansätze sehen Spiritualität in einem direkten Bezug zu Religion und Gottesbildern (Moberg 2002; Iannaccone und Klick 2003; Eldred 2005; Rotzetter 2007; Ligo 2016; Renz 2016). In diesem Verständnis wird die spirituelle Komponente als essenzieller Teil des religiösen Lebens erkannt und bezieht als transzendentale Dimension sämtliche Facetten der Religion ein. Unsere Forschung bezieht sich jedoch vorwiegend auf ein sozialwissenschaftlich begründetes Spiritualitätsverständnis, das in der sozial- wie auch religionswissenschaftlichen Forschung und hier insbesondere im Bereich der Religionspsychologie vielfach erprobt und belegt ist. In diesem breiten Verständnis kann Spiritualität als natürlich-intrinsische Kraft der menschlichen Natur definiert werden, die ein Gefühl der Zugehörigkeit sowie von Sinn und Bedeutung des Lebens vermittelt. Ausgehend von diesem Definitionsansatz kann Spiritualität ebenso als neutrales Konzept ohne Religions-, Werte- und Ethikbezug definiert werden (Klerk 2005; Rima 2016) oder als Modell ohne religiösen, aber mit ethischem Bezug (Zohar und Marshall 2004; Lillard und Ogaki 2005).

Ein breites Spiritualitätsverständnis gewährleistet eine Erfassung interkultureller und interreligiöser Konnotationen und wird im modernen Religions- und Ethikunterricht konfessions- und religionsübergreifend rezipiert. Hier werden die üblichen Verständnisse von Spiritualität als Selbsttranszendenz, Welttranszendenz, Achtsamkeit, Verbunden-Sein mit anderen und der Welt sowie Verständnisse von Gott bzw. höheren Mächten berücksichtigt. Auch die Ausübung von Spiritualität in Form von religiösen Praktiken und Ritualen ist hier bedacht und unter Rückgriff auf etablierte Skalen im Befragungsinstrument erfasst. Diese humanwissenschaftlich verstandene Konzeption der Spiritualität ist in unserem Forschungsvorhaben bewusst gewählt: Nur so können die Ergebnisse nicht nur in der christlichen Theologie, sondern auch in anderen sinndeutenden praktisch-philosophischen und -theologischen Auffassungen diskutiert werden. Vor allem, da Religion und Spiritualität eine Rolle von gewisser Stabilität in der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik übernommen haben (Oxhandler und Pargament 2014; Oxhandler et al. 2015; Dhiman und Rettig 2017; Kolbe und Surzykiewicz 2019; Mahler 2019; Pohl 2019; Rehn 2019).

Dabei stehen besonders vulnerable Gruppen im Fokus der Forschung. Dieser Beitrag fokussiert sich auf zwei Hauptstränge und daraus resultierende bzw. gewonnene Drittmittel-Projekte. Zum einen werden spirituelle Aspekte als wichtige Bezugsvariablen für die Einschätzung von individuellen und sozialen Merkmalen von Lebensqualität bei Menschen jeglichen Alters und in besonderen Lebenslagen (z.B. Geflohene) als Indikator für soziale Teilhabe untersucht. Zum anderen richtet sich unser Forschungsinteresse gezielt auf die Untersuchung von Prämissen für inklusive Kompetenzen bei Kindern in verschiedenen Schulsettings. Dieser zweite Forschungsschwerpunkt steht in engem Zusammenhang mit dem Promotionsprojekt von Herrn Simon W. Kolbe und soll im Folgenden näher erläutert werden.

INKLUSIVE KOMPETENZEN BEI KINDERN - SPIRITUALITÄT ALS BESONDERE RESSOURCE UND IHRE RELEVANZ FÜR DIE PÄDAGOGISCHE PRAXIS

Innerhalb des Projektes entstand eine hauptsächlich sozialwissenschaftliche Programmatik zur Erforschung „inklusiver Kompetenzen bei Kindern“, die jedoch hierzu die psychosozialen Ressourcen in Zusammenhang mit religiös-spirituellen Aspekten näher analysiert. Dabei wird vor allem der Faktor Spiritualität besonders auf seine moderierenden Funktionen hin untersucht.

Während meist Einstellungen und Kompetenzen von (pädagogischem) Personal oder Familienmitgliedern betroffener Kinder untersucht werden (Peck et al. 2004; Forlin 2010; Sharma et al. 2012; van Weelden und Whipple 2014; Langner 2015; Hunt und Goetz 2016; Zurbriggen et al. 2017; Schwab 2018), sind kompetenz-orientierte Forschungsansätze bei Kindern und Jugendlichen strukturell unterrepräsentiert. Gerade in unteren Altersspannen besteht jedoch bei Individuen aus marginalisierten und vulnerablen Gruppen ein Zustand, der als „Inklusionsbedarf“ beschrieben werden kann (Gilliam 2005; Theunissen und Schirbort 2010; Hennemann et al. 2012; Schwab und Fingerle 2013; Fegert und Schepker 2014; Manske 2014; Goth und Severing 2015; Grosche 2015; Schwab und Seifert 2015; Wiedebusch et al. 2015; Becker 2016; Lindmeier 2017; Ulbrich 2017).

Kinder und Jugendliche bilden dabei primäre Zielgruppe der Untersuchung, da der breite Inklusionsdiskurs auf der Ebene von Kindern und Jugendlichen als Akteure und Betroffene stattfindet (Hennemann et al. 2012; Lelgemann et al. 2012; Holtmann 2015; Manske 2014; Warnke 2015; Wiedebusch et al. 2015). Weiter übernehmen Religion und Spiritualität bei Kindern und Jugendlichen in besonderen Lebenslagen eine existenzielle Rolle in den Domänen Lebensqualität, Coping und Resilienz (Poston und Turnbull 2004; Hart und Ailoae 2007; Hart 2010; Holder et al. 2010; Zhang 2010; Freudenreich 2011; Zhang und Wu 2012; Gontard 2013; Zhang 2013; Wertgen 2014; Harris 2015;).

Kinder werden in Inklusionsprozessen als aktive und rezeptive Akteure wahrgenommen (Essa et al. 2008; Thoms und Boban 2013; Bebetsos et al. 2014; Kuhl et al. 2015; Booth et al. 2016; Diamond et al. 2016; Evans et al. 2016; Iglesias 2017; Kobelt-Neuhaus 2017). Die spezifischen Kompetenzen, um inklusive Prozesse und Bedürfnisse bei sich selbst und anderen zu erkennen, zu artikulieren und zu betreiben, wurden bei Kindern bisher nicht oder lediglich dezidiert beachtet (Lelgemann et al. 2012; Zimpel 2012; Bebetsos et al. 2013; Ziemen 2013). Leitfrage des Promotionsvorhabens ist daher, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten bei Kindern hilfreich sind, um inklusive Prozesse und Situationen gestalten, erkennen und umsetzen zu können. Flankierend wird die moderierende Funktion spirituell-religiöser Bedürfnisse und Ressourcen der Zielgruppe untersucht.

Es wird angenommen, dass Inklusive Kompetenzen in engen Zusammenhang mit emotionalen, sozialen, interkulturellen und religiös-spirituellen Merkmalen bzw. Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen stehen und als solche ermöglichen, inklusive Bedarfe und Situationen wahrzunehmen sowie entsprechenden Handlungen daraus abzuleiten. Inklusiv kompetente Kinder können ihre eigenen sozialen und emotionalen Bedürfnisse und die anderer erkennen und artikulieren. Ihre eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten setzen sie dafür ein, um selbst gerechte Teilhabe in unterschiedlichen Settings erleben zu können und anderen Hilfestellungen beim Zugang zu diesen zu geben oder zu empfangen. Inklusive Kompetenz beruht auf den Faktoren Wahrnehmung, Erkenntnis, Wissen über Benachteiligung und Exklusion und dem Bestreben nach Lösungsoptionen in Form von Umsetzung von inklusiven Prozessen. Religion und Spiritualität werden additiv auf ihre moderierende Funktion untersucht.

Ausgangslage bildet ein Begriffsverständnis, das Kompetenzen als Fertigkeiten und Fähigkeiten einer Person zur Entwicklung, Umsetzung und Reflexion von Lösungsstrategien und Handlungsoptionen in Bezug auf bestimmte Sach- und Problemlagen versteht. Hierbei besteht ein komplexes Zusammenspiel von persönlicher Prädisposition und Umweltfaktoren (Weinert 2001; Heyse und Erpenbeck 2004; Gnahs 2007; Frank und Iller 2013). Bei der Entwicklung und Ausprägung von Kompetenzen besteht eine reziproke Abhängigkeit von den Faktoren Eltern und Familie, Personen, die einen beruflich-pädagogischen Bezug zu Kindern haben, und den Kindern selbst (Alt et al. 2008; Bertram 2008). Dieses Phänomen kann als triangulär-reziproke Interdependenzmatrix der Kompetenzentwicklung beschrieben werden und bildet die Grundlage des Forschungsdesigns.

Das Modell inklusiver Kompetenzen basiert auf dem zirkulären Drei-Ebenen-Modell sozialer Kompetenzen von Malti und Perren (2014, 2016). Dabei wird davon ausgegangen, dass innerhalb eines Aneignungs-Prozesses reziproke modifizierende Aspekte des Kompetenzerwerbs zirkulär stattfinden. Die erste Ebene beschreibt dabei intrapsychische Prozesse, die auf emotionaler, kognitiver und motivationaler Ebene beobachtbares soziales Verhalten beeinflussen. Die zweite Ebene kann in selbstbezogenes und fremdbezogenes Verhalten differenziert werden. Die darauf in der dritten Ebene folgenden psychosozialen Anpassungen wirken sich mittelbar und unmittelbar auf die Qualität, Intensität und Häufigkeit sozialer Beziehungen und das subjektive Wohlbefinden respektive die Gesundheit aus. Die Zirkularität besteht erstens in abhängigen Anpassungsprozessen in Zwischenebenen des vorliegenden Modells und zweitens im Einfluss der Anpassungsformate auf die jeweiligen anderen Ebenen (Malti und Perren 2008; Malti und Buchmann 2010; Bayard et al. 2014; Malti und Perren 2016).

Die konzeptionelle Konstruktion von inklusiven Kompetenzen stellt keine Neugenerierung eines einzigartigen Themenkomplexes dar. Es soll vielmehr untersucht werden, aus welchen Kompetenzspektren sich diese Kompetenzen zusammensetzen und welche Felder das Konstrukt vervollständigen. Es wird vermutet, dass die Bereiche soziale, emotionale, interkulturelle, spirituelle und interreligiöse Kompetenz als Bezugs-Dimensionen fungieren. Die Zirkularität wird im Modell der inklusiven Kompetenzen analog zum oben beschriebenen Modell angenommen und ergänzt. Somit lässt sich ein drei-dimensionales zirkuläres „Prozessmodell Inklusiver Kompetenzen“ skizzieren, welches durch einen zusätzlichen Moderator, die Spiritualität, ergänzt wird. Folgender Entwurf liegt vor:

D1 – Inklusive Sensibilität: Die erste Dimension beschreibt als „Inklusive Sensibilität“ intrapsychische Prozesse bzw. Grundausstattungen, wie die Elemente Wahrnehmung der eigenen schulischen Inklusion, Haltung und Einstellungen zur Inklusion und einem vorhandenen Repertoire an Achtsamkeit.

D2 – Inklusive Performanz: Die zweite Dimension beinhaltet das als Performanz beobachtbare selbst- und fremdbezogene Verhalten bzw. behaviorale Komponenten, die die Kernaspekte inklusiver Handlungskompetenzen und religiöser Handlungsfähigkeiten darstellen.

D3 – Inklusionsqualität: In der dritten Dimension werden als Outcome bzw. psychosoziale Anpassungsprozesse Auswirkungen auf Ebenen der Lebensqualität, des subjektiven Wohlbefindens und der Qualität der Inklusion (=Ausprägung sozialer Isolation) abgebildet.

Es wurde ein 4-phasiges multimethodisches Design zur Akquise und Überprüfung des Modells inklusiver Kompetenzen entwickelt: I. Konzeptionelle Erfassung und Definition der inklusiven Kompetenzen; II. Operationalisierung der inklusiven Kompetenzen nach Auswertung von multiprofessionellen Fokusgruppeninterviews mit Kindern und deren familiären sowie pädagogischen Bezugspersonen; III. Analyse und Genese eines geeigneten Messwerkzeuges für Prädiktoren inklusiver Kompetenzen in einer eigenen Skala (=SIK); IV. Feldstudie zur Akquise und Überprüfung eines Modells inklusiver Kompetenzen und der „Skala Inklusiver Kompetenzen“ (SIK).

Nach dem Abschluss der Phasen I bis III konnte ein Fragebogenkonstrukt präsentiert werden. Phase IV ist als Feldstudie konzipiert. Dabei werden Methodik und Design der jeweiligen Probandengruppe angepasst, um eine möglichst hohe Güte der Daten zu gewährleisten. In der Auswertung sollen spirituelle Kompetenzspektren und inklusive Kompetenzen in Verbindung mit religiösen Aspekten und Achtsamkeitsmechanismen untersucht werden. Mit Hilfe entsprechender konzeptioneller und methodischer Vorgehensweisen (u.a. Triangulation, Moderatorenalysen) zur Analyse der Ergebnisse sollen die Validität der Skala inklusiver Kompetenzen überprüft und anschließend modifiziert werden. Dies gilt als Grundlage zur Analyse und Identifikation individualpsychologischer und spirituellen Ressourcen für inklusive Kompetenzen. Im Anschluss werden zentralen Prämissen für die Anwendungsmöglichkeiten in entsprechenden Kompetenzvermittlungsprogrammen erörtert.

AUSBLICK

Der Blick in die Zukunft beinhaltet sowohl eine fundierte Weiterentwicklung der systematischen Analyse von Theorie und Forschung als auch die Implementierung der Erkenntnisse in Form von angewandten Praxisformaten, Schulungsprogrammen und Netzwerkarbeit im Sinne eines weitgefassten und fruchtbaren Theorie-Praxis Konnexes.

LITERATUR

KOMPETENZEN FÜR INKLUSION