DER PARTIZIPATIONSMONITOR IM PRAXISTEST

TRANSFERPROJEKT

Projektbeteiligte

Prof. Dr. Ulrich Bartosch,
Professur für Pädagogik, Fakultät für Soziale Arbeit

Prof. Dr. Joachim Thomas,
Professur für Psychologische Diagnostik und Interventionspsychologie

Projektmitarbeiterin
Christiane Bartosch, M.A.

Projektlaufzeit: 2018-2019

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Im Anschluss an das dreijährige Forschungsprojekt „Bildung in inklusiven Klassen – Demokratiebildung und Partizipation“ wurde das entwickelte Instrument als „Partizipationsmonitor“ erprobt. Mit dem Instrument werden Lehrerinnen und Lehrer unterstützt, wenn sie mit ihren Schülerinnen und Schülern über Partizipation im schulischen Alltag sprechen.

Im Transferprojekt wurde der „Partizipationsmonitor“ (PaMo) praktisch eingesetzt. Wir wollten zeigen, dass man mit dem PaMo leichter mit Kindern zum Thema Partizipation ins Gespräch kommt. (Parallel wurde eine Erprobungslinie mit Lehrkräften verfolgt. Sie fließt in ein laufendes Dissertationsprojekt ein.) Diesmal wurde in einem bayerischen Hort eine Gruppe von Kindern in die Handhabung des PaMo eingeführt. Sie bewerteten die Möglichkeiten /bzw. fehlenden Möglichkeiten von Partizipation in schulischen Situationen. Die Kinder wurden also nicht innerhalb, sondern außerhalb ihres Schulalltags tätig. Der Hort ist als geschützter Bereich zu verstehen, wo sie mit pädagogischen Fachkräften, aber nicht direkt mit ihrer Lehrkraft, sprechen. Die Kinder besuchten unterschiedliche Schulen und machten unterschiedliche Erfahrungen, was in den Gesprächen deutlich wurde.

Der Hort als Kindertageseinrichtung ist ein teilstationäres Angebot. Er wird geregelt durch das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG), der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) sowie die bayerischen „Leitlinien für die Bildung und Erziehung von Kindern bis zum Ende der Grundschulzeit“. Inklusion und Partizipation sind im Leitbild des Hortes verankert. Die besuchte Einrichtung besteht aus zwei Hortgruppen für je 20 Kinder im Grundschulalter, d.h. von 6-11 Jahren. Ausnahmen bezüglich der Altersgrenze bestehen.

Die Kinder besuchen Schulen im näheren Umkreis. In jeder Gruppe können fünf Kinder mit erhöhtem Förderbedarf betreut werden.
Die Zusammensetzung unserer Gruppe unterschied sich stark von den befragten Gruppen des Entwicklungsprojekts zum PaMo: Von den 16 Kindern haben sieben Kinder Förderbedarf und 10 von 16 Kinder haben einen Migrationshintergrund. Die Geschlechtsverteilung war ebenfalls sehr ungleich: Die Gruppe bestand aus 12 Jungen und vier Mädchen. Da die Befragung im Hort stattfand, waren die Kinder unserer Gruppe jahrgangsstufengemischt und besuchten die Klassen 1 bis 4.

Die fragenden Personen waren den Kindern vertraut: Miriam Meier arbeitet in Teilzeit in der Einrichtung. Sie verfasste ihre Abschlussarbeit im Kontext des Projekts. (Miriam Meier: „Kinderleichte“ Mitwirkung? – Der Partizipationsmonitor in der praktischen Erprobung, BA-Abschlussarbeit). Christiane Bartosch hatte sich im Vorfeld durch eine Hospitation den Kindern bekanntgemacht.

Vor der Erhebung erfolgte eine Einführung zur Bearbeitung des Monitors. Hier erwies sich – wie in den Vorgängerbefragungen bereits bemerkt – der Unterschied zwischen der Frage „Wer entscheidet in dieser Geschichte?“ und „Wer sollte in dieser Geschichte entscheiden?“ als unverständlich für einige Kinder. Ebenso verhielt es sich mit der Frage „Wer entscheidet in deiner Klasse…?“ und „Wer sollte in deiner Klasse entscheiden?“ (Siehe Poster „Bildung in inklusiven Klassen“)

Insgesamt riefen die Kinder acht Geschichten auf, die als Fallvignetten gestaltet sind. Die Fragen waren identisch, sie wurden lediglich personalisiert und auf die jeweilige Geschichte abgestimmt (siehe Poster „Bildung in inklusiven Klassen“). Das Instrument ist in zwei Pfade gegliedert. Die Zuteilung des Befragten zu einem Pfad wird mit einem Zufallsgenerator gesteuert. In jedem Pfad finden wir in wechselnder Abfolge partizipative und direktive Geschichten (Fallvignetten). Zeigt Pfad 1 eine Geschichte mit einer partizipativen Lösung, so ist die direktive Variante auf Pfad 2 zu sehen. Die tatsächliche Zuordnung der Kinder zu dem jeweiligen Pfad wurde nach der Erhebung erfasst und konnte zur Einteilung der Gespräche über den Partizipationsmonitor verwendet werden. Das bedeutet, dass in jedem Gespräch mit vier Kindern zwei die partizipative Variante und zwei die direktive Variante gesehen hatten. Die Zuordnung wurde durch Farben auf den Namensschildern visualisiert. Diese Verschiedenheit der gesehenen Fallvignetten wurde gewählt, damit die Kinder leichter ins Gruppengespräch finden konnten. Insgesamt wurden vier Gesprächsgruppen durchgeführt: in zwei Gesprächen wurden je zwei Fallvignetten besprochen, in den beiden anderen Gesprächen wurden je drei Fallvignetten besprochen. Die Anzahl der besprochenen Fallvignetten wurde vom Interesse und Motivation der Kinder bestimmt. In den Gesprächsgruppen waren, bis auf eine Ausnahme, jeweils vier Kinder beteiligt. Die Zuordnung der Kinder zu den Gruppen erfolgte durch die pädagogischen Fachkräfte im Hort, die Rücksicht auf individuelle Fördermaßnahmen und Zeitpläne der Kinder nehmen mussten. Die Dauer der Gespräche schwankte zwischen 33 und 36 Minuten, die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitspanne der Kinder war hierfür Richtschnur, die Zeitspanne pro Fallvignette schwankte zwischen acht und 16 Minuten. Alle acht Fallvignetten konnten besprochen werden, zwei davon zweimal, so, dass wir über 10 besprochenen Fallvignetten verfügen. Alle Gespräche wurden aufgezeichnet und fotografisch erfasst. Die Fotodokumentation ist so angelegt, dass eine Identifizierung der Kinder nicht möglich ist (Siehe Poster „Transferprojekt Partizipationsmonitor“).

Sechs Leitfragen wurde gebildet:

  1. Wer kann sich noch an diese Geschichte(n) erinnern?
  2. Welche Geschichte hattest du?
  3. Was passiert in dieser Geschichte? (Nachspielen mit Spielfiguren)
  4. Gibt es einen Unterschied in diesen Geschichten?
  5. Wie ist das bei dir in der Schule?
  6. Wie findest du das?

Frage 1 und Frage 2 konnten nicht verwendet werden, da die Erinnerung der Kinder nicht ausreichte, wie sich im ersten Gespräch zeigte. Die Gruppengespräche wurden methodengerecht spontan in halbstrukturierte Gespräche abgewandelt. Die befragten Kinder benötigten eine intensive Hinführung, ausführliche Gespräche und spielerische und verbale Auseinandersetzung mit diesem Thema. So ergab sich eine wesentliche Ergänzung. Die gezeigten Geschichten wurden mit Playmobil Figuren auf den laminierten Folien, auf denen die Geschichte abgedruckt war, nachgespielt. Dies ergab nun eine äußerst effektive und zielführende Vorgehensweise, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen. Erst während des Nachspielens wurde es den Schülerinnen und Schülern möglich, ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse mit denen der Geschichten zu vergleichen und über Partizipation in schulischen Situationen nachzudenken. Hier wurden dann auch Erfahrungen und Wünsche zum Thema Partizipation in der Schule formuliert. Die Aussagen der Kinder zu gewünschter Partizipation im schulischen Alltag konnten nur partiell von einigen wenigen Kindern beantwortet werden. In der Regel erzählten die Kinder wer diese Entscheidungen trifft, aber warum dies so ist, oder ob dies ihrer Meinung nach so sein sollte wurde nicht beantwortet. Die Antworten zur Partizipation im schulischen Alltag sind nach unserer Beobachtung entscheidend davon geprägt, ob die Kinder dort Partizipation erleben und vor allem ob das Thema Partizipation dort angesprochen wird. Häufig sind – laut Aussagen der Kinder – die Lehrerin oder der Lehrer diejenigen, die entscheiden und dies wird in der Regel nicht in Frage gestellt. Einen unklaren, aber möglichen Einfluss bildet hier aber auch sprachliche Kompetenz der Kinder. Nicht immer ist das volle Verständnis des vorgestellten Sachverhalts vorauszusetzen.
Im Folgenden werden die im Poster „Transferprojekt Partizipationsmonitor“ bildlich und sprachlich gezeigten Beispiele beschrieben. Die Fotos zeigen die wichtige Situation des Nachspielens. Die Figur der Lehrkraft – in weiblicher und männlicher Form vorhanden – war heißbegehrt und musste entsprechend häufig gewechselt werden. Alle anderen Kinder erhielten eine oder mehrere Kinderfiguren. Bei den jeweiligen Fallvignetten wurden von den Kindern die Sprechblasen vorgelesen, die Geschichte besprochen und direkt auf der dazugehörigen Folie nachgestellt: die zweidimensionale Darstellung wurde so dreidimensional und beweglich. Die Kinder schlüpften in ihre Rollen und wiederholten den Sprechtext. Während und nach dem Nachspielen der Situationen konnten die Kinder das Geschehen zum Teil transferieren und verglichen die gespielte Situation mit den Erfahrungen aus ihrem schulischen Alltag.
Blickt man z.B. auf die Fallvignette zur Bildung von Regeln mit der Frage „Ist es gut, wenn die Kinder sich Regeln überlegen?“, dann zeigt sich zum einen, dass ein Kind meint, es sei sinnvoll, dass sich Kinder Regeln überlegen und kann dies auch begründen: „Weil dann ist weniger Streit…“ Gleichzeitig kann an diesem Beispiel auch beobachtet werden, dass so manche Einordnung von Aussagen der Kinder nicht wirklich möglich ist. Bei sprachlichen Verständnisschwierigkeiten schließen sich viele Kinder der Meinung des Vorredners an. Ähnlich verhält es sich bei der Besprechung der Fallvignette zum Thema „Sport“: Auch hier sind Kinder in der Lage zu beurteilen, ob sie mit einbezogen werden oder nicht. Unterschiedliche Antworten der verschiedenen Kinder erklären sich dadurch, dass mehrere Schulen besucht werden und dies jeweils unterschiedlich gehandhabt wird. Bei dem Thema „Einteilung von Diensten“ konnte ebenfalls ein Bezug zur eigenen schulischen Erfahrung hergestellt werden: Ein Kind schildert den ungeliebten Putzdienst zu dem er vom Lehrer eingeteilt worden war. Ob die Einteilung von Diensten in den Händen der Lehrkraft, den Kindern oder beiden liegen sollte, konnte nicht beantwortet werden (siehe Poster „Transferprojekt Partizipationsmonitor“). Hierzu ein Protokollauszug:

  • „Interviewerin: Habt ihr das nicht in der Schule? So, so Klammern an bestimmten Diensten. Kind G: Hab ich. Interviewerin: Und was hast du da? Kind G: Gar nichts. Interviewerin: Du hast gar/ aber du hattest schon mal was, oder? Kind G: (seufzt) das ist voll stressig: PUTZDIENST. Interviewerin: Aha, du Kind G, hattest schon mal Putzdienst. Kind G: Das war so stressig. (.) Ich hasse das. Interviewerin: Und wer hat entschieden, dass du Putzdienst hattest? Kind G: Die Lehrer.“

Beim Thema „Streit“, bzw. auf die Frage, wer Streit schlichten soll, konnten sehr eindeutige Antworten der Kinder gefunden werden. In zwei auf dem Poster abgebildeten Sprechblasen legen die Kinder die Schlichtung von Streit zwischen Kindern in ihre eigenen Hände: Zum einen, weil Kinder den Streit selbst lösen können. Und zum anderen wird die eigene Strategie sich aus dem Weg zu gehen, wenn keine Auflösung erfolgt, als zielführend beschrieben, weil „…Und jetzt sind wir wieder Freunde.“

  • „Interviewerin: Nicht. Okay. Aber was war denn da die Lösung mit Lehrer oder ohne? Kind A: Ohne. Interviewerin: Ohne? Habt ihr den Streit dann gelöst untereinander? Kind A: Ja. Interviewerin: Ja? Kind A: Weil da durfte sich keiner einmischen, weil wir gesagt haben (unv.) Interviewerin: Mhm, dann habt ihr den Streit nicht gelöst? Kind A: Wir haben schon gelöst indem wir nicht einfach weiter gestritten haben, sondern gesagt haben wir gehen uns lieber aus dem Weg, nicht dass es schlimmer wird. Und jetzt sind wir wieder Freunde.“

Im einem zweiten Fall wird ebenso die Klärung des Streits als Aufgabe der Kinder bezeichnet, hier findet sich auch eine Begründung, warum dies nicht Aufgabe der Lehrkraft sei: der Lehrer habe schon so viel zu tun, und Streit untereinander sei etwas, was Kinder selbst können.

  • „Kind A: Aber ich finde es besser wenn die Kinder es regeln. Interviewerin: Wenn die Kinder das untereinander regeln ohne den Lehrer? Kind A: Ja. Interviewerin: Und warum findest du das besser Kind A? Kind A: Weil der Lehrer hat ja sowieso schon so viel um die Ohren und dann muss er noch extra sowas unnötiges klären. Obwohl es die Kinder das auch selber klären könnten.“

Eine Besonderheit bildet das Thema „Sitzordnung“. Es ist eines der wenigen Beispiele, in denen ein direkter Vergleich zwischen der partizipativen und der direktiven Fallvignette durch ein Kind vorgenommen wurde. Das Kind nennt die alleinige Entscheidung des Lehrers „gemein“ und beschreibt die gemeinsam von Kind und Lehrkraft getroffene Entscheidung als „nett“. In letzterer sei der Lehrer „gerechter“. Dabei wiederholt das Kind für seine Begründungen die Aussagen in den Sprechblasen der Fallvignetten.

  • „Interviewerin: Was fällt euch denn da auf bei den zwei Geschichten? (.) Ja, Kind A? Kind A: Da ist er gemein und dort ist er nett. Interviewerin: Warum ist er denn da gemein und da nett? Kind A: Weil er da gleich nein gesagt und dann gesagt hat er entscheidet das. Und dort war er total nett, weil er gesagt hat das besprechen wir zusammen. Interviewerin: Mh-hm (bejahend). Kind A: Er hat nicht gesagt: „Nein das entscheide ich“ zum Beispiel. Interviewerin: Also findest du das besser, wenn die Schüler und der Lehrer das gemeinsam entscheiden? Kind A: Mh-hm (bejahend). Interviewerin: Ja? Und warum findest du das so? Kind A: Weil das irgendwie gerechter ist.“

FAZIT

Der Partizipationsmonitor ist geeignet, um mit Kindern auch außerhalb von Schule über Partizipation zu sprechen. Es ist allerdings vorteilhaft, Partizipation in der Schule in vorbereitenden Einheiten zu thematisieren. Das Gespür der Kinder für ihre Mitwirkungsmöglichkeiten ist unbestreitbar. Aber sie bedürfen der Ermutigung. Kinder müssen über ihre Rechte aufgeklärt werden und um ihre Mitsprachemöglichkeiten wissen. Der PaMo bedarf einer Schul- und Lernkultur, in dem diese Aufklärung gewünscht ist, dann kann er Kindern und Lehrkräften gleichermaßen helfend zur Seite stehen.

(Alle angeführten Gesprächssequenzen wurden im Juli 2019 in einem bayerischen Hort aufgezeichnet und anschließend pseudonymisiert.)

DER PARTIZIPATIONSMONITOR IM PRAXISTEST