PROMOTIONSPROJEKT A. MORAß

Smartphone-Befragung und Coaching: Erprobung in der Praxis beruflicher Teilhabe

(ARBEITSTITEL DES DISSERTATIONSVORHABENS ANNA MORASS)

Projektverantwortliche

ANNA M. MORAß

Promotionsprojekt unter der Leitung von

Prof. Dr. Joachim Thomas
Professur für psychologische Diagnostik und Interventionspsychologie

Projektlaufzeit: 2017-2020

Poster herunterladen (deutsch)

 

Poster herunterladen (englisch)

 

Bericht herunterladen (deutsch)

 

Bericht herunterladen (englisch)

 

DIE ZIELSETZUNG

Das im Folgenden beschriebene Projekt untersucht, wie Smartphone-Befragung und Coaching wirksam in der Praxis beruflicher Teilhabe eingesetzt werden können. Dafür wird eine neuartige Methodik entwickelt, die Smartphone-Befragungen mit Face-to-face-Coachings kombiniert. Diese Methodik wird hinsichtlich verschiedener Aspekte erprobt, wie der Intensität der Nutzung, Zufriedenheit mit der Umsetzung, subjektiv erlebter Nützlichkeit und Wirksamkeit. Dafür wird das monitoringbasierte Coaching in zwei ausgewählten Maßnahmen beruflicher Teilhabe eingesetzt. Einerseits werden Job-Coachings für arbeitssuchende Personen mit Ambulantem Monitoring begleitet und bereichert. Andererseits wird ein monitoringbasiertes Selbstwirksamkeitscoaching für junge Rehabilitand*innen in einem Berufsbildungswerk (BBW) durchgeführt, welches speziell für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit besonderem Förderbedarf (z.B. körperliche und/oder psychische Erkrankungen, Lernbehinderung) konzipiert ist und welches unten näher beschrieben wird. Daraus sollen erste Informationen zu Einsatz, Chancen und Schwierigkeiten der Methodik sowie deren Implementation im Bereich der beruflichen Teilhabe gewonnen werden.

DIE METHODIK

Smartphone-Befragungen werden entsprechend der Methodik des Ambulanten Assessments eingesetzt. Ambulantes Assessment meint die „Verwendung spezieller feldtauglicher, heute meist elektronischer Geräte (…) um Selbstberichtdaten (…) sowie situative und Setting-Bedingungen im Alltag der Untersuchten zu erfassen“ (Fahrenberg, Myrtek, Pawli & Perrez, 2007, S. 13). Heutzutage werden dafür standardmäßig Smartphones zur Präsentation der Fragebögen verwendet (Kuntsche & Labhart, 2013). Derartige Befragungen werden im Projekt über einen längeren Zeitraum eingesetzt und daher als Ambulantes Monitoring bezeichnet. Monitoring meint allgemein die „[Dauer]beobachtung [eines bestimmten Systems]“ (Dudenredaktion, 2007, S. 673) und wird häufig im Rahmen der Nutzung verschiedener Methoden zu Erhebung psychophysiologischer Daten in situ verwendet (Stott, 1982). Hier wird dennoch von Ambulantem Monitoring gesprochen, da die Erfassung von Prozessen im Fokus steht. Zu den Vorteilen von Ambulantem Assessment und Monitoring gehören die Erfassung von Echtzeit- und zeitnahen Daten, der Erhalt weniger verzerrter Informationen und die erhöhte ökologische Validität und Anwendbarkeit der Befunde. Zudem können aus den Daten Rückmeldungen an die Teilnehmenden generiert und Erkenntnisse über inter- und intraindividuelle Unterscheide sowie Verläufe gewonnen werden (Bolger, Davis & Rafaeli, 2003; Fahrenberg, 1996; Hamaker, 2012; Schwarz, 2012). Aus Monitoringdaten lassen sich außerdem relevante Interventionsthemen ableiten (Shiffman, Stone & Hufford, 2008). Daher werden die Smartphone-Befragungen im vorliegenden Projekt u.a. als Grundlage für Interventionen, speziell Face-to-face-Coachings im Einzelsetting, verwendet. Dafür werden die im Monitoring eingegebenen Daten für die Gespräche individuell ausgewertet und als Gesprächsgrundlage verwendet. Die hier vorgestellte Methodik wird daher im Folgenden als monitoringbasiertes Coaching bezeichnet. Coachings werden dabei als systemische, zielorientierte, lösungsfokussierte, personenzentrierte und ressoucenorientierte Gespräche verstanden, die die Fähigkeit der Teilnehmenden zu Selbstorganisation im Berufs- und Arbeitsleben fördern und dabei dem Grundsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ (Bachmair, Faber, Hennig, Kolb & Willig 2011, S. 21) folgen (Albrecht, 2018; Roundtable der Coachingverbände, 2015). Die Kombination mit klassischem Coaching hat Vorteile gegenüber einem Umschwenken auf eine rein digitale Methodik (z.B. Ecological momentary interventions in Proudfoot, 2013).

Beispielsweise kann auf Bedürfnisse der Zielgruppe im Hinblick auf Sprache und Ausdrucksfähigkeit besser eingegangen und der Beziehungsaufbau erleichtert werden (Warschburger, 2009). Insgesamt wird davon ausgegangen, dass durch den Einsatz des monitoringbasierten Coachings ein Beitrag zur Teilhabe am Coaching selbst sowie zur Teilhabe im Beruf geleistet werden kann. Einerseits durch eine Individualisierung der Interventionsinhalte und die durch das Monitoring angeregte Selbstreflexion, andererseits können im Coaching berufsrelevante Konstrukte, wie die Selbstwirksamkeit, thematisiert und gefördert werden.

DAS TEILPROJEKT ZU SELBSTWIRKSAMKEITSCOACHING FÜR JUNGE REHABILITAND*INNEN IM BBW

Selbstwirksamkeit bezeichnet nach Bandura (1977, 1997) das Ausmaß der Überzeugung, durch eigene Kapazitäten Ziele erreichen zu können und kann durch verschiedene Quelle, wie eigene Erfolgserfahrungen oder verbale Überzeugung, gefördert werden. Bezogen auf die Zielgruppe gilt sie z.B. für junge Erwachsene mit körperlichen Beeinträchtigungen als relevant für das Finden und Behalten eines Arbeitsplatzes (Bal, Sattoe, van Schaardenburgh, Floothuis, Roebroeck & Miedema, 2016). Allerdings gibt es Hinweise, dass Personen mit besonderem Förderbedarf eine geringere Selbstwirksamkeit haben (z.B. Vukman, Lorger & Schmidt, 2018 für Jugendliche mit Lernstörungen). Daraus wird analog zu Ergebnissen von Vukman et al. (2018) geschossen, dass der Förderung von Selbstwirksamkeit in der beruflichen Rehabilitation im BBW eine große Bedeutung zukommt. Ein innovatives monitoringbasiertes Selbstwirksamkeitscoaching für junge Rehabilitand*innen wird daher konzipiert und erprobt.
Zur Erprobung konnten 101 Jugendliche und junge Erwachsene des BBW Rummelsberg rekrutiert werden. Daten von 84 der Teilnehmenden (M = 20.35 Jahre; 1/3 weiblich) gehen in die folgenden vorgestellten Analysen ein. Die Datenerhebung erfolgte im Kontrollgruppendesign mit zwei Experimentalgruppen (Ambulantes Monitoring mit Coaching, alleiniges Ambulantes Monitoring) und einer passiven Kontrollgruppe sowie mit Prä-Post-Follow-up-Messung. Das vierwöchige Ambulante Monitoring diente der dreimal täglichen Erfassung des Erlebens leistungsbezogener und sozialer selbstwirksamkeitsrelevanter Erfolgs- und Misserfolgssituationen sowie des aktuellen Befindens. Diese Informationen wurden mit den immer gleichen kurzen Smartphone-Befragungen zu jedem Messzeitpunkt erfasst, wofür ein zeitlich fester Alarm an das Ausfüllen des Fragebogens erinnerte. Aus den Monitoringdaten wurden für die wöchentlichen Coaching-Sitzungen individuelle graphische Auswertungen erstellt, die den Verlauf des subjektiven Befindens abhängig von den erlebten Situationen in der jeweiligen Woche zeigen (für ein Beispiel siehe Abbildung 1).
Diese Graphik diente als Grundlage im Coaching-Gespräch, um mit den Teilnehmenden vor allem deren eigenen Beitrag zum Gelingen von Erfolgssituationen und ggf. alternative Handlungsmöglichkeiten bei Misserfolgen zu erarbeiten und dadurch die Selbstwirksamkeit zu steigern. Zur Untersuchung der Interventionswirksamkeit wurde in Prä-, Post- und Follow-up-Messung mittels Paper-Pencil-Fragebögen das Ausmaß von leistungsbezogener und sozialer Selbstwirksamkeit sowie von Kontrollbedürfnis und Befinden als assoziierten Konstrukten erfasst (z.B. Amoura, Berjot, Gillet & Altintas 2014; Botting, Durkin, Toseeb, Pickles & Conti-Ramsden, 2016). Zudem wurde schriftliches Feedback der Teilnehmenden zur Methodik und deren Nützlichkeit erbeten. Die Datenanalyse erfolgte mittels deskriptiver Methoden und einer multivariaten Varianzanalyse.

Abbildung 1: Beispiel ausgewerteter Monitoringdaten einer Woche (situationales Befinden in hellblau, durchschnittlichers Befinden in dunkelblau)

Zur Intensität der Nutzung zeigt sich eine Compliance von 43% im Ambulanten Monitoring der einbezogenen Stichprobe. Die Compliance bezieht sich hier auf den Anteil ausgefüllter Fragebögen relativiert an der Anzahl verfügbarer Messzeitpunkte bei angeschaltetem Smartphone. Von den vier Coaching-Sitzungen pro Person wurden durchschnittlich drei (SD = 0.76) besucht. Auch waren die Feedback gebenden Rehabilitand*innen weitgehend zufrieden mit der Umsetzung der Methodik: Der Großteil der Beurteilenden empfand die Monitoring-Items als angemessen, jedoch die Alarmfrequenz von dreimal pro Tag als zu hoch und die Gesamtdauer von vier Wochen als angemessen bis zu lang. Hinsichtlich des Coachings werden Frequenz und Dauer als angemessen eingeschätzt. Die subjektive Nützlichkeit wird unterschiedlich wahrgenommen: Während 25% von 51 beurteilenden Teilnehmenden das Monitoring als nützlich einschätzen, sind es für das Coaching mit 46% von 26 Beurteilenden verhältnismäßig mehr. Die multivariate Varianzanalyse zur Wirksamkeitsprüfung der Intervention im Gruppenvergleich und über Prä-Post-Follow-up-Messung hinweg zeigt jedoch keinen signifikanten Interaktionseffekt Gruppe*Messzeitpunkt (F (24, 96) = 1.26, p > .05).
Auffällig bei den Ergebnissen ist die Diskrepanz zwischen gefundener subjektiver Nützlichkeit und nicht-signifikanten inferenzstatistischen Wirksamkeitsergebnissen. Jedoch wurde die subjektive Nützlichkeit nicht von allen Teilnehmenden rückgemeldet. Daher besteht in einer Folgestudie speziell Interesse an den subjektiven Nützlichkeitseinschätzungen sowie weiteren Erfolgsindikatoren, aber auch Wirkfaktoren für Coachingerfolg. Dadurch soll ein umfassenderes Bild zu Bedingungen und Arten der Wirkung des monitoringbasierten Coachings gewonnen werden. Hierfür wurden 27 neue Rehabilitand*innen des BBW Rummelsberg rekrutiert. Sie alle nahmen am Ambulanten Monitoring kombiniert mit den Coaching-Gesprächen analog zur beschriebenen Umsetzung teil. Bei der Datenerhebung wurden zusätzliche quantitative und qualitative Informationen zu Wirkfaktoren und Erfolgsindikatoren erfasst. Diese Folgestudie ist jedoch noch nicht abgeschlossen, sodass hier nicht näher darauf eingegangen wird und auch noch keine Ergebnisse präsentiert werden können.

DIE DISKUSSION

Es wurde ein innovatives Coaching-Konzept vorgestellt, dass die Vorteile von Smartphone-Befragungen mit denen traditioneller Coachings verbindet. Eine Erprobung im Einsatz als Selbstwirksamkeitscoaching für junge Rehabilitand*innen mit besonderem Förderbedarf zeigt angesichts der Zielgruppe eine sehr zufriedenstellende Nutzungsintensität des Monitoring und Coaching. Auch das gewählte Design wird als passend beurteilt. Dennoch kann eine Wirksamkeit der Methodik zur Steigerung von Selbstwirksamkeit und assoziierten Variablen nicht inferenzstatistisch belegt werden. Subjektive Nützlichkeitserfahrungen bestärken allerdings darin, mögliche Wirkfaktoren und Wirksamkeitsindikatoren in einer Folgestudie tiefergehend in den Blick zu nehmen. Insgesamt zeigt sich also eine grundlegende Akzeptanz einer Methodik, die nicht nur zum Zeitgeist der Digitalisierung passt, sondern auch weitere Einsatzmöglichkeiten erlaubt, wie z.B. die Beachtung des Monitorings als Messinstrument und daraus resultierender Informationen über längerfristige Zeitverläufe.

LITERATUR

Albrecht, E. (2018). Business Coaching: Ein Praxis-Lehrbuch. Berlin: Walter de Gruyter GmbH.

Amoura, C. Berjot, S. Gillet, N. & Altintas, E. (2014). Desire for control, perception of control: their impact on autonomous motivation and psychological adjustment. Motivation and Emotion, 38, 323-335. doi:10.1007/s11031-013-9379-9

Bachmair, S., Faber, J., Hennig, C., Kolb, R. & Willig, W. (2011). Beraten will gelernt sein: Ein praktisches Lehrbuch für Anfänger und Fortgeschrittene (10. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Bal, M. I., Sattoe, J. N. T., van Schaardenburgh, N. R., Floothuis, M. C. S. G., Roebroeck, M. E. & Miedema, H. S. (2016). A vocational rehabilitation intervention for young adults with physical disabilities: participants‘ perception of beneficial attributes. Child: care, health and development, 43, 114–125. doi:10.1111/cch.12407

Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84, 191-215.

Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of Control. New York: W. H. Freeman and Company.

Bolger, N., Davis, A. & Rafaeli, E. (2003). Diary methods: Capturing life as it is lived. Annual Review of Psychology, 54, 579-616. doi:10.1146/annurev.psych.54.101601.145030

Botting, N., Durkin, K., Toseeb, U., Pickles, A. & Conti-Ramsden, G. (2016). Emotional health, support, and self-efficacy in young adults with a history of language impairment. British Journal of Developmental Psychology, 34, 538–554. doi:10.1111/bjdp.12148

Dudenredaktion (2007). Duden: Das Fremdwörterbuch. Mannheim: Dudenverlag.

Fahrenberg, J. (1996). Ambulatory assessment: Issues and perspectives. In J. Fahrenberg & M. Myrtek (eds.), Ambulatory assessment: Computer-assisted psychological and psychphysiological methods in monitoring and field studies (pp. 3-20). Seattle, WA: Hogrefe and Huber.

Fahrenberg, J., Myrtek, M., Pawli, K. & Perrez, M. (2007). Ambulantes Assessment – Verhalten im Alltagskontext erfassen: Eine verhaltenswissenschaftliche Herausforderung an die Psychologie. Psychologische Rundschau, 58, 12-23. doi:10.1026/0033-3042.58.1.12

Hamaker, E. L. (2012). Why researchers should think ‚within-person‘: A paradigmatic rationale. In M. R. Mehl & T. S. Conner (Eds.), Handbook of research methods for studying daily life (pp. 43–61). New York, NY, US: Guilford Press.

Kuntsche, E. & Labhart, F. (2013). Using personal cell phones for ecological momentary assessment: An overview of current developments. European Psychologist, 18, 3-11. doi:10.1027/1016-9040/a000127

Proudfoot, J. (2012). The future is in our hands: The role of mobile phones in the prevention and management of mental disorders. Australien & New Zealand Journal of Psychiatry, 47, 111-113. doi:10.1177/0004867412471441

Roundtable der Coachingverbände (2015). Profession: Coach: Ein Commitment des Roundtable der Coachingverbände. Verfügbar unter: https://www.roundtable-coaching.eu/wp-content/uploads/2015/03/RTC-Profession-Coach-2015-03-19-Positionspapier.pdf

Schwarz, E. L. (2012). Why researchers should think ‚real-time‘: A cognitive rationale. In M. R. Mehl & T. S. Conner (Eds.), Handbook of research methods for studying daily life (pp. 22-43). New York, NY, US: Guilford Press.

Shiffman, S., Stone, A. A. & Hufford, M. R. (2008). Ecological momentary assessment. Annual Review of Clinical Psychology, 4, 1-32. doi:10.1146/annurev.clinpsy.3.022806.091415

Stott, F. D. (1982). Ambulatory monitoring. Journal of Physics E: Scientific Instruments, 15, 619-626.doi:10.1088/0022-3735/15/6/004

Vukman, K. B., Lorger, T. & Schmidt, M. (2018). Perceived self-efficacy and social anxiety changes in high school students with learning disabilities (LD) during first year of secondary vocational education. European Journal of Special Needs Education, 33, 584-594. doi:10.1080/08856257.2017.1410320

Warschburger, P. (2009). Beratungspsychologie: mit 24 Abbildungen und 29 Tabellen. Heidelberg: Springer.

PROMOTIONSPROJEKT A. MORAß