TRANSKULTURELL-INKLUSIVE KUNSTVERMITTLUNG. STUDIEN ZUR KONZEPTION UND KOOPERATION
(ARBEITSTITEL DES DISSERTATIONSVORHABENS JANINA HORN)
Projektverantwortliche
JANINA HORN
Promotionsprojekt unter der Leitung von
Prof. Dr. Rainer Wenrich
Projektlaufzeit: 2017-2021
Das Promotionsprojekt untersucht die Potenziale digitaler Medien für eine transkulturell- inklusive Kunstvermittlung und nimmt damit Bezug auf globale Herausforderungen einer zunehmend heterogenen Gesellschaft sowie der digitalen Transformation. Insbesondere ist inklusive und transkulturelle Bildung nicht nur ein zentrales globales Bildungsziel, sondern auch ein Schwerpunkt des gegenwärtigen kunstpädagogischen Diskurses.
THEORETISCHE ASPEKTE DER PROJEKTVORHABENS
Aufgrund der engen Verzahnung und Synergie der beiden Konzepte Inklusion und Transkulturalität (Welsch 1992/2010), werden diese hier erstmals gemeinsam vor einem kunstpädagogischen Hintergrund betrachtet. Mit dem Ziel der Förderung transkulturell-inklusiven Lehrens und Lernens in der Kunstvermittlung mit digitalen Medien erfolgt die praxis- und theoriegeleitete Entwicklung eines kunstpädagogischen Konzepts. Es wird angenommen, dass Kunstvermittlung als idealer Anknüpfungspunkt für transkulturell-inklusives Lehren und Lernen gilt, da sowohl produktive, rezeptive als auch reflexive künstlerisch-ästhetische Prozesse durch große Heterogenität und Vielfalt gekennzeichnet sind. Ebenso spielt Visual Literacy (ENVIL 2016), definiert als eine Reihe an Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Umgang und das Verständnis mit und von Bildmaterial, in Anbetracht einer Zunahme (digitaler) visueller Informationsvermittlung eine zentrale Rolle.
Von besonderem Interesse ist die Unterstützung heterogener Lerngruppen durch digitale Medien, da sie neue Bildwelten und Bildzugänge eröffnen und möglicherweise eine individuelle Förderung und Teilhabe unterstützen können. Dabei geht es einerseits um die Frage, ob digitale Medien grundsätzlich den Aufbau von Bild(lese)kompetenz (Visual Literacy) unterstützen, welche wiederum zur Partizipation und Orientierung in einer bildgeleiteten und immer mehr durch Bilder geprägten Gesellschaft anleitet. Andererseits sollen die beiden neuen Technologien Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), als virtuelle bzw. erweiterte Bildwelt, auf ihre Potenziale hinsichtlich der Zugänglichkeit von Bildern und dem Aufbau von Visual Literacy untersucht werden.
METHODISCHES VORGEHEN
Als zentrale Forschungsmethode wurde aufgrund des explorativen Charakters der Studie, welche den zu untersuchenden Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, die Triangulation gewählt. Auf theoretischer Seite erfolgt, basierend auf einer umfangreichen Analyse bestehender historischer und gegenwärtiger kunstpädagogischer und -didaktischer Entwicklungen, die Ermittlung des Standpunkts transkultureller, inklusiver und digitaler Kunst- und Kulturvermittlung sowie eine Zusammenstellung entsprechender Kriterien. Um die Potenziale digitaler Medien für die Kunstvermittlung in heterogenen Lerngruppen überprüfen zu können, werden im Sinne einer qualitativen Forschung sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich Erhebungen durchgeführt. Dazu wird am Zentrum für Lehrerbildung (KU ZLB) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ein digitales Lehr- und Lernlabor eingerichtet und zusätzlich der Aufbau eines analog-digitalen Vermittlungsraumes im Museum Brandhorst München wissenschaftlich begleitet. Durch die Erarbeitung eines Vermittlungskonzepts und die Anschaffung geeigneter Geräte, wie Smartboard, VR-Headset und Tablets wird eine Basis für die Durchführung analog-digitaler Lernszenarien geschaffen. Schüler*innen bzw. andere Besuchergruppen lernen verschiedene Künstler und Werke kennen, wobei digitale Medien zusätzlich zu den Kunstvermittler*innen eine Vermittlerrolle einnehmen. Im schulischen Bereich wird zudem mit einer Kontrollgruppe gearbeitet, um aussagekräftigere Ergebnisse zu erhalten.
Begleitet wird jede Einheit durch teilstandardisierte digitale Fragebögen, vor, während und nach der Intervention. Die Erhebungen erfassen (Vor-)Erfahrung und Lernzuwachs der Teilnehmer*innen, um die Potenziale digitaler Medien in heterogenen Lerngruppen zu bestimmen. Zur Ermittlung des Standpunkts der Vermittlungspraxis im Kunstmuseum werden außerdem leitfadengestützte Expertenbefragungen eingesetzt.
ERSTE ERGEBNISSE
Derzeit können basierend auf einer umfangreichen Literaturrecherche neun Determinanten transkulturell-inklusiver Vermittlung bestimmt werden: Kommunikation, Achtsamkeit, Anerkennung/Wertschätzung, Partizipation, Gleichberechtigung, Inter- bzw. Transdisziplinarität, Globalität, Identität, Ermöglichung. Dabei ist die Aufzählung nicht hierarchisch zu verstehen, da alle Determinanten gleichwertig und in einer synergetischen Verbindung zu betrachten sind. Zentral ist die Ermöglichung einer individuellen Entwicklungsförderung verbunden mit einer „aktiven Teilhabe des Einzelnen in der transkulturellen Gesellschaft“ (Eremjan 2016). Transkulturalität nach Wolfgang Welsch zeichnet sich durch hybride, verflochtene Kulturen aus, deren Grenzen verschwimmen und keine Abgrenzung aufgrund kultureller Differenz erfolgt. Die „mehrdimensionale Darstellungsperspektive […] Kunst als transkulturelle Bildung, transkulturelle[r] Bildung durch Kunst, Kunst als transkulturelle Vermittlung und transkulturelle Vermittlung von Kunst“ (Eremjan 2016) birgt großes Potenzial zur Unterstützung einer kritischen Weltaneignung und gesellschaftlichen Partizipation in einer solchen transkulturellen Gesellschaft.
Das digitale Lehr- und Lernlabor befindet sich in der Entwicklungs- und Umsetzungsphase. Währenddessen wurden bereits Beispiele digitaler Kunstvermittlung getestet. Im Sinne von „Analog meets Digital“ wurde eine Lerneinheit erarbeitet, welche noch in der ersten Jahreshälfte 2020 mit Kooperationsschulen durchgeführt werden soll. Die Durchführung ist an drei aufeinanderfolgenden Wochen im Rahmen des Kunstunterrichts im Umfang von ca. 6 Unterrichtsstunden à 45 Minuten geplant. Künstler- und Werkbegegnung erfolgen mithilfe interaktiver Übungen am Tablet unter Zuhilfenahme von AR und VR. Die Schüler*innen bestimmen Lerntempo und Inhalte individuell und können auch zu einem späteren Zeitpunkt auf das Material zurückgreifen und Inhalte wiederholen. Die interaktiven Übungen kombinieren analoge und digitale Arbeitsweisen und beinhalten sowohl Informationstexte, als auch Bild-, Audio- und Videomaterial, um möglichst vielen Lerntypen gerecht zu werden. Zudem sind einzelne Aufgaben mehrsprachig verfügbar. Zur eigenen künstlerischen Produktion, im zwei- oder auch dreidimensionalen Raum, stehen neben analogen Materialien (wie Wasserfarben, Pinsel und Papier) ebenfalls Tablets und Virtual-Reality-Brillen zur Verfügung. Auch während der abschließenden Präsentations- und Reflexionsphase können diese genutzt werden.
Der Vermittlungsraum des Museum Brandhorst befindet sich ebenfalls noch im Aufbau. Im Bereich der außerschulischen Vermittlung wurde bisher eines von drei geplanten Experteninterviews geführt, bei dem deutlich wurde, dass für reguläre Besucher*innen einer Ausstellung noch wenige Vermittlungshilfen zur Verfügung stehen. In Führungen oder speziellen Themenworkshops finden sich allerdings bereits vielversprechende inter- bzw. transkulturelle Ansätze und inklusive Bestrebungen. Auch im Museumsbereich wird daher angenommen, dass digitale Medien eine große Chance darstellen.
LITERATUR
Eremjan, I. (2016). Transkulturelle Kunstvermittlung. Zum Bildungsgehalt ästhetisch-künstlerischer Praxen. Bielefeld : transcript.
Ratzel, A.-J./Wagner, E./Wenrich, R. (Hg.) (2017). diversity im Kunstunterricht. Modelle inter- und transkultureller Vermittlungspraxis. München : kopaed.
Schönau, D./Wagner, E. (Ed.) (2016). Common European Framework of Reference for Visual Literacy – Prototype Münster · New York: Waxmann.
Welsch, W. (1992). Transkulturalität – Lebensformen nach der Auflösung der Kulturen. In: Information Philosophie, Heft 2, 5-20.